Stand: 10.06.2021 15:03 Uhr
Mit einer Untätigkeitsklage will das EU-Parlament die Kommission dazu bringen, Rechtsstaatsverstöße unverzüglich zu ahnden. Vertreter kritisieren, dass dies zu spät sei. Hintergrund ist der Streit mit Polen und Ungarn.
Das Europäische Parlament hat ein Beschwerdeverfahren gegen die EU-Kommission wegen Untätigkeit eingeleitet. Damit will sie die Brüsseler Behörde dazu bringen, Rechtsstaatsverstöße umgehend zu ahnden.
Konkret geht es um die Umsetzung einer neuen Verordnung zur Ahndung solcher Verstöße. Darin heißt es, dass EU-Staaten Mittel aus dem Gemeinschaftshaushalt kürzen können, wenn ein Missbrauch von Mitteln aufgrund von Rechtsstaatsverstößen droht.
Klage von Polen und Ungarn
Die Maßnahmen waren besonders brisant, weil die EU-Kommission nach einer Einigung zwischen Staats- und Regierungschefs eigentlich erst dann tätig werden sollte, wenn der Europäische Gerichtshof über eine Beschwerde Ungarns und Polens gegen die Neuregelung entschieden hat. Dieses Zugeständnis veranlasste die Regierungen in Budapest und Warschau im vergangenen Jahr, ihre Blockade wichtiger EU-Haushaltsbeschlüsse fallen zu lassen.
Ungarn und Polen gehen davon aus, dass der sogenannte Konditionalitätsmechanismus mit geltendem EU-Recht unvereinbar ist. Aus polnischer Sicht können für die Zuweisung von Mitteln aus dem EU-Haushalt nur „objektive und spezifische Bedingungen“ gelten. Die EU sei nicht befugt, den Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ zu definieren.
Eine breite Mehrheit für den Antragsvorschlag
Die Abgeordneten sehen seit Monaten ein großes Problem. Mit dem Mehrparteien-Entschließungsvorschlag des Europaparlaments wird nun der im vergangenen Dezember zwischen den Staats- und Regierungschefs vereinbarte Kompromiss untergraben. Der Antrag macht geltend, dass die bedingten Satzungen am 1. Januar 2021 in Kraft getreten seien und seitdem in Kraft seien.
Der Untätigkeitsantrag wurde am Mittag mit großer Mehrheit angenommen. 506 Abgeordnete stimmten dafür, 150 dagegen und 28 enthielten sich. Zuvor diskutierten Vertreter der Christlich-Demokratischen Europäischen Volkspartei, der Sozialdemokraten, der Liberalen, der Grünen und der Linken den Text.
Konkret sollte Parlamentspräsident David Sassoli nun auf Grundlage von Artikel 265 des EU-Aktionsvertrags die Kommission auffordern, den neuen Mechanismus unverzüglich zu nutzen. Reagiert die Behörde nicht innerhalb von zwei Monaten zufriedenstellend, kann eine förmliche Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof eingereicht werden. Diese müsste dann entscheiden, ob die Kommission tätig werden soll oder ob sie sich an die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs halten kann.
Nur eine Verzögerung?
Für die EU-Kommission um Ursula von der Leyen ist das Vorgehen des Parlaments beschwerlich. Sie hatte im vergangenen Jahr die Einigung zwischen Staats- und Regierungschefs unterstützt und sagte, dass durch die Verzögerung kein Fall verloren gehe. Zudem hat der zuständige Haushaltskommissar Johannes Hahn kürzlich angedeutet, dass in der kommenden Woche Leitlinienentwürfe zur Umsetzung der Verordnung vorgelegt werden sollen.
Die Abgeordneten sehen dies als Ablenkung. FPÖ-Abgeordneter Moritz Körner machte deutlich, dass die Vorlage der Leitlinien nicht als Maßnahme akzeptiert wird. „Wir wollen, dass die Kommission endlich alle Schritte unternimmt, um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu verteidigen“, sagte der Grünen-Politiker Daniel Freund. Andernfalls kann es zu irreparablen Schäden kommen.
Die Länder, denen aufgrund der neuen Verordnung Mittelkürzungen drohen, sind in erster Linie die beiden Länder, die gegen die Verordnung vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Ungarn und Polen wird seit langem vorgeworfen, ihren Einfluss auf die Justiz ausgeweitet zu haben. Zudem werden Einschränkungen der Medienfreiheit und ein unzureichender Minderheitenschutz kritisiert.